Spätestens seit BLM und der Umbenennung der Washington Redskins sind identitätspolitische Debatten seit Monaten die Tagesordnung. In Deutschland stellt sich die Lacrosse-Community die Frage: Wird auch hier die indianische Minderheit diskriminiert?
Ein Gastbeitrag von Matthias Lehna
Der Tänzer ist entrückt. Mit seiner traditionellen Kleidung ist der Mann mit dem Federschmuck, begleitet von rhythmischen Trommelschlägen, in einer eigenen Welt. Er tanzt zur Weihung der Sportstätte. Das transzendente Erlebnis ist für ein Spiel. Einem Spiel, welches für den entrückten Tänzer und seinen Vorfahren mehr als ein internationales Event bedeutet: Baggataway wie es in der Sprache der Irokesen genannt wird - der kleine Bruder des Krieges. Es ist die Eröffnungsfeier der Weltmeisterschaft in Lacrosse 2014 in Denver, USA.
Eine Eröffnung ohne spirituellen Segen will eine ehemalige Lacrosserin anregen. Wenn es nach Hannah Wolff ginge, sollte die deutschen Lacrosseszene eine Debatte zur Umbenennung aller deutschen Lacrossevereinen mit indianischen Bezug starten. Sie fordert, „dass es in Zukunft in Deutschland eine Sportlandschaft gibt, die ohne die Stereotypisierung der amerikanischen Ureinwohner*innen auskommt“. Die Bloggerin, früher Lacrosse und jetzt Quidditch - Spielerin in Berlin, hat ihre Meinung unlängst in einem Online-Magazin veröffentlicht. Dabei übersieht der Beitrag von Wolff eine Tatsache - die Debatte ist schon seit langem im Gange. Ein von dieser Forderung betroffener Verein ist der Münster Mohawks Lacrosse. „Schon seit zwei, drei Jahren haben wir immer mal wieder die Diskussion, ob wir unseren Namen und unser Logo überhaupt nutzen dürfen. Im Verein gibt es dazu zwei unterschiedliche Lager,“ sagt Christina Ohlmeier, die Vereinsvorsitzende der Lacrosserinnen und Lacrosser aus Münster. Die beiden Lager sind unterschiedlicher Ansicht, ob die Nutzung eines stereotypisierenden Logos mit dem Namen des indigenen Stammes der Mohawks legitim und opportun sei, so Ohlmeier. „Wir wollen am Ende vermeiden, dass der Eindruck stehen bleibt mit den Mohawks als Maskottchen herumzulaufen.“
Es ist eine identitätspolitische Frage, die im Deutschland im Kleinen, aber auch in den Staaten, wie in der Football Liga, NFL, bei den Washington Redskins im Großen gestellt wird. Ungeachtet des Gefälles eines millionenschweren Franchise im Vergleich zum Breitensport in Deutschland lassen sich manche in der deutschen Lacrosse Community von der Frage treiben: Wie weit gehen die Bedürfnisse und Empfindungen von Personen und Minderheiten und wer darf darüber entscheiden?
Gründungseifer in Deutschland
Der deutsche Lacrosseverband, DLaxV, wurde Mitte der 90er des letzten Jahrtausend gegründet. Zwei Studenten haben von amerikanischen Ostküstencolleges Lacrosse nach Deutschland gebracht. In Berlin und München entstanden zeitgleich die ersten beiden Vereine. Von diesem exotischen Sport fasziniert, haben in den 00er Jahren Studenten die meisten weiteren der aktuell 56 Lacrosseclubs in Deutschland gegründet. In ganz Deutschland haben sie in etablierten Sportvereinen Lacrosseabteilungen gegründet. Im überschwänglichen Gründungseifer entstanden Teams, wie die Erlangen Tribesman, Cologne Indians, oder die Dresden Braves. Im bürokratisch korrekten Deutschland steht jedoch im offiziellen Vereinsregister der Name des Dachvereins. TB 1880 Erlangen, KKHT Schwarz-Weiß Köln, oder USV TU Dresden sind dort verzeichnet. Einzig die Münster Mohawks haben sich als eigenständiger Verein gegründet. „Es blieb uns keine andere Wahl. In Münster ist die Vereinssituation schwierig. Alle kämpfen um Trainingszeiten auf den wenigen Plätzen der Stadt,“ sagt Ohlmeier. Sie sind alleine mit indianischen Namensbezug im Verbandsregister eingetragen.
Aus der Not haben die Münsteraner eine Tugend gemacht. Sie haben es geschafft als die Mohawks aus Münster im Kopf zu bleiben. Schließlich ist hier die indianische Kultur mit den positiven Attributen von Freiheit, Spiritualität und Naturverbundenheit verknüpft. Nicht alle Münsteraner Lacrosser sind damit zufrieden. „Marginalisiert so ein einfacher Umgang mit Stereotypen nicht die Probleme einer bedrohten Gemeinschaft“, fragen sie sich, „wird hier nicht auf dem Rücken einer Minderheit ein Vorteil gezogen?“ Spätestens durch Proteste um die Dakota Access Pipeline ist bis nach Deutschland gedrungen, dass die Realität der Community der amerikanischen Ureinwohner von Umweltproblemen und gesellschaftlicher Vernachlässigung geprägt ist.
Die Frage nach der Rechtfertigung einer indianischen Vereinsbezeichnung ist keine triviale. Schließlich hat die westliche Namensgebung des Jahrhunderte alten Spiels schon ohne Rücksprache mit den ursprünglichen Eigentümern stattgefunden. Französische Siedler haben das eigentümliche Spiel im 17. Jahrhundert an der amerikanischen Ostküste beobachtet und zum ersten Mal beschrieben. Sie sahen ein Spiel der Irokesen. Doch für die Mitglieder der Six Nations war es eine Möglichkeit Stammeskonflikte beizulegen. Ohne den tieferen Sinn des Spiels verstanden zu haben wurde so der Stick, das Spielgerät zum Fangen und Passen eines faustgroßen Lederballs, zum Namensgeber des heutigen Sports. Die französische Siedler haben das ritualisierte und spirituell aufgeladene Spiel der Indianer einfachdanach benannt: La crosse.
Auf den Jerseys spielen sie ohne Logo und Namenszusatz
„Am Ende haben wir sogar mit der Antidiskriminierungsbeauftragten der Stadt Münster darüber gesprochen"
Der Name bleibt
Die Münsteraner Lacrosser wollen dagegen selbstreflektierter Vorgehen. Die selbständig durchgeführte Namenstaufe hat sie bis zuletzt nicht in Ruhe gelassen. „Wir haben im Verein Unruhe gehabt. Das Thema um das Logo und den Namen musste endgültig angegangen werden. Am Ende haben wir sogar mit der Antidiskriminierungsbeauftragten der Stadt Münster darüber gesprochen,“ sagt Ohlmeier. Um Klarheit zu schaffen, haben die Münsteraner schließlich eine naheliegende und doch so häufig vergessene Lösung wahrgenommen. Sie haben das Gespräch mit den Betroffenen gesucht. Zusammen haben sie eine Mail an den Chief Counsel of Mohawks geschrieben, der Stammesvertretung der Mohawk Indianer. Eine Mail, die ohne Antwort blieb. Trotz mehrmaligem Nachfragen. Über die Motive ließe sich nur spekulieren, so Ohlmeier. Die Münsteraner haben trotzdem beschlossen ihr Logo zu ändern - den Namen jedoch zu behalten: „Wir hoffen damit endlich Ruhe in den Verein zu bekommen. Eigentlich haben wir ganz andere Probleme. Wie organisieren wir die Nachwuchsarbeit, wie lässt sich die Teilnahme im Ligabetrieb einrichten und wie bilden wir genug Schiedsrichter aus?“
Es ist eine salomonische Lösung in einer Debatte, die immer intensiver geführt wird. Stimmen aus der deutschen Lacrosse Community, wie der von Wolff, fordern dagegen eine kompromisslose Lösung. Nach ihrer Meinung muss bei diesem Thema mehr getan werden. Ihr Anliegen ist drastischer formuliert: „Auch in Deutschland können wir etwas gegen die Entmenschlichung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas tun.“ Aus Sicht des stellvertretenden Verbandvorstandes, Jakob Großehagenbrock, vertritt die ehemalige Lacrosserin einen auf den ersten Blick berechtigten Standpunkt. Würden jedoch alle Forderung eingelöst, müssten die Namen der Dachvereine auf dem Feld geführt werden, bestätigte Großehagenbrock auf Nachfrage. Der Turnerbund aus Erlangen gegen den Universitätssportverein aus Dresden wäre so eine Folge. Großehagenbrock wirbt um Verständnis für den ursprünglichen Willen der Gründerinnen und Gründer der vielen Lacrossevereine in Deutschland. Seiner Meinung nach sind die Namen aus einem Ausdruck der Verbundenheit mit dem indigenen Ursprung des Sports entstanden. Eine Verbundenheit, die sich vom Münsterland bis zur Elbe zeigt. Unabhängig davon liegt die Verantwortung in der Namensdebatte bei den Vereinen. „Wir können schon laut Satzung keine Namensänderung diktieren. Das müssen die Vereine schon selbst entscheiden,“ sagt der stellvertretende Vorstand des DLaxV.
Für Ohlmeier ist die ausbleibende Reaktion der vermeintlich Betroffenen eine Chance. Sie bietet eine Möglichkeit für mehr Gelassenheit in einer verkrampfte Debatte. Die aktuelle Diskussion, wie man die Irokesen in den internationalen Turnierbetrieb einbinden kann, zeigt ohnehin auf, dass sich die Sache der Indianer nicht in Namensdebatten erschöpft. Die intensive Beschäftigung der Münsteraner Mohawks mit ihrem Namen und Logo hat auch einen Vorteil findet Ohlmeier. „Wahrscheinlich haben sich wenige bei uns in der Region je so intensiv mit der Kultur der Mohawks beschäftigt, wie wir im Verein.“
Anmerkung: Der Autor ist langjähriger Spieler in Deutschland und Mitglied des Herren Nationalmannschaftsprogramms. Seit zwei Jahren engagiert er sich im Verband als Pressesprecher.